Buchillustration
Mittwoch, 17. Mai 2017
Mittwoch, 10. Mai 2017
Dienstag, 18. April 2017
Montag, 13. Februar 2017
Nicht zwischen zwei Stühlen, sondern auf beiden Stühlen
„Wenn ich
neue Leute kennenlerne, heißt es sehr oft: „Sie sprechen aber gut Deutsch“, was
ich in der Regel mit „Danke“ beantworte und mir oft die Ergänzung „Sie auch“
verkneife“, sagt meine Mutter und erzählt, dass es im Gespräch mit der Frage
„Woher kommen Sie?“ weitergeht. Je nachdem, wie ich die Ehrlichkeit meines
Gegenübers wahrnehme z.B. ob dieser nach Gemeinsamen oder verbindenden
Bekanntenschaften sucht, oder mich als Fremde definieren möchte, beantworte ich
die Frage oft bewusst mit „Kerpen“. Nach einer ersten Irritation wird weitergebohrt: „Ja, aber ursprünglich?“
Ich antworte: „Ja genau, in Kerpen bin ich großgeworden und lebe auch weiter
da, wo Michael Schumacher, der Rennfahrer herkommt, kennen Sie bestimmt und
auch der katholische Priester Adolf Kolping ist dort geboren“. „Ja, aber woher
kommen ihre Eltern?“ heißt es weiter, sobald ich „Türkei“ sage, sehe ich die
Erleichterung im Gesicht meines Gegenübers, der mir sagt „Wusste ich doch, warum
nicht gleich“.“
Meine Mutter
ist als Gastarbeiterkind Anfang der 70 er Jahre nach Deutschland, direkt nach
Kerpen gekommen. Sie ist die klassische zweite Generation mit Migrationshintergrund
und ich die dritte. Deutschland war damals für meine Großeltern eine
Zwischenstation, wo man nicht dauerhaft hingehört. Deren Heimat war die Türkei.
Sie wollten, wie viele andere
Gastarbeiter zu damaliger Zeit auch, sich nur für eine kurze Zeit in
Deutschland aufhalten, Geld sparen und wieder zurück in die Türkei gehen.
Die
Sommerferien wurden genutzt, um die Verwandten und Freunde in der Türkei zu
besuchen, nicht um sich in einem Hotel oder am Strand zu entspannen.
Kaum
angekommen, wurde sie dort gefragt „Wo ist es schöner? Hier oder in Deutschland?“
Man wollte aus ihrem Munde hören, dass es natürlich im Dorf schöner ist. Als
sie aber nach drei Wochen Urlaub anfing, nach Deutschland zurückzuwollen,
gefiel dies ihren Verwandten und Bekannten nicht. „Ihr seid eingedeutscht“,
hieß es, denn Sehnsucht könne man ja nur nach seiner Heimat haben.
In
Deutschland angekommen, wurden sie dann als Gastarbeiter oder Ausländer,
inzwischen als Migranten, Menschen mit Migrationshintergrund bezeichnet. Hier
waren die Erwartungen von deutschen Bekannten, Nachbarn, Lehrern, Freunden
nicht anders als in der Türkei. Bei den Fußballweltmeisterschaften zum Beispiel
kamen sofort die Fragen, zu welchem Mannschaft sie halten würde und man wollte
natürlich hören, dass sie zu der deutschen Mannschaft hält.
So wie meine
Großeltern war es auch für meine Mutter sehr wichtig, dass ich meine Verwandte
in der Türkei kennenlerne und sie besuchen sollte. Deshalb flogen wir von klein
an jedes Jahr ein paar Wochen in den Sommerferien in die Türkei, um Zeit mit ihnen
zu verbringen.
Obwohl meine
Großeltern selber keine große Schulbildung genossen haben, setzten sie sich
sehr für die Bildung meiner Mutter ein. Hierzu erzählte sie mir eine
Erinnerung, die sie nicht vergessen kann. „In der Grundschule, als ich mit
meinen Hausaufgaben nicht klar kam und meine Eltern mir nicht helfen konnten, fuhr
mein Vater mit mir in die Stadtbibliothek. In gebrochenem Deutsch erklärte er
der Bibliothekarin seine Verzweiflung, worauf diese sich mit mir hinsetzte und
mir bei den Hausaufgaben half, ohne ein Honorar dafür zu verlangen. Damals gab
es keine Nachhilfeschulen oder meine Eltern wussten es nicht.“
Meine Mutter
ist und war immer eine sehr starke Persönlichkeit. Sie ist nicht die
sprachlose, fremdbestimmte, ängstliche und unterdrückte Muslimin, so wie die
Medien dies gerne darstellen. Abschließend wollte ich von ihr noch wissen, ob
sie integriert wäre.
„Ich
definiere mich als integriert.“ beantwortete sie und argumentierte weiter. „Ich
bin eine türkischstämmige Deutsche und habe zwei Heimaten. Sowohl Deutschland,
als auch die Türkei. Ich weiß, ich wurde schon belehrt, dass es grammatikalisch
für das Wort Heimat kein Plural gibt. Da in einer Heimat die Sozialisation
stattfindet und Identität, Charakter,
Mentalität, Einstellungen und Weltauffassungen geprägt werden und ich in Deutschland
sozialisiert bin, ist Deutschland meine Heimat. Da Heimat auch sozialer Raum
ist und Interaktionen zwischen Menschen beinhaltet, zu dem Bekannten, Nachbarn,
Verwandte und Freunde dazu gehören, ist auch die Türkei meine Heimat. Ich sitze
nicht zwischen 2 Stühlen, sondern auf beiden Stühlen. Ich möchte beide nicht
missen. Ich will mich auch nicht für eins entscheiden.“
Ebenso wie
meine Mutter fühle ich mich in beiden Ländern sehr wohl. Ich bin hier
aufgewachsen und habe beide Sprachen gelernt, was mir auch den Zugang in beiden
Ländern erleichtert. Bis zu meinem 5. Lebensjahr war es für meine Mutter
wichtig nur türkisch mit mir zu reden, damit ich eben auch mit meinen
Verwandten in der Türkei mich unterhalten kann. Deutsch habe ich erst in
Kindergarten gelernt. Als ich in die Schule kam, konnte ich noch nicht perfekt
Deutsch. Ein Klassenkamerad, der Felix machte sich über mein Deutsch lustig und
sagte mir „kaufe die eine Tüte Deutsch“. Ich war darüber sehr traurig und
erzählte es meiner Mutter. Sie tröstete mich mit den Worten, dass ich doch zwei
Sprachen beherrschen würde und der Felix nur Deutsch. Ich war aber trotzdem
traurig und fragte, was mir denn überhaupt türkisch nützen würde. Eine Woche
später gab mir meine Klassenlehrerin eine Lehre Kassette und sagte, dass Sie
von mir gerne Türkisch lernen wolle. Sie bat mich ihre Vokabeln auf die
Kassette zu sprechen. Das freute mich so sehr, dass ich das natürlich gerne
gemacht habe. Ich habe mich wertgeschätzt gefühlt. Später erfuhr ich, dass
meine Mutter meiner Lehrerin den Vorfall erzählt hatte.
Diese
Aufwertung meiner Muttersprache motivierte mich beide Sprachen zu Pflegen.
Dadurch habe den Zugang zu beiden Ländern und fühle mich in diesen beheimatet.
Freitag, 18. November 2016
Sonntag, 6. November 2016
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